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Wirecard und NSU 2.0: »Sonderermittler« im Gespräch – aber was ist das eigentlich?

Wenn sich skandalträchtige Vorgänge zu weitgreifenden Skandalen ausweiten, wenn Straftaten extremer Größenordnung ans Licht kommen oder offenbarte Geheimvorgänge noch weit Schlimmeres unter der Oberfläche befürchten lassen, kommen Sonderermittler ins Spiel. Doch warum gerade sie?
Symbolfoto: Shutterstock.com/Atstock Productions
Symbolfoto: Shutterstock.com/Atstock Productions

Was steckt hinter den unerlaubten Datenabfragen bei der hessischen Polizei und was haben sie mit den rechtsradikalen Drohbriefen zu tun, die mit „NSU 2.0“ unterschrieben sind? Um das herauszufinden, hat die hessische Landesregierung einen Sonderermittler eingesetzt. Und auch um die Bilanzvorgänge rund um Wirecard aufzuklären und die politische Dimension aufzuarbeiten, ist auf den Fluren des Bundestages inzwischen vom denkbaren Einsatz eines Sonderermittlers die Rede. Das zeigt auch ganz aktuell wieder: Wenn sich skandalträchtige Vorgänge zu weitgreifenden Skandalen ausweiten, wenn Straftaten extremer Größenordnung ans Licht kommen oder offenbarte Geheimvorgänge noch weit Schlimmeres unter der Oberfläche befürchten lassen, kommen Sonderermittler ins Spiel. Doch warum gerade sie?

Was ist ein Sonderermittler?

Was Sonderermittler ausmacht und warum sie gerade dann gerufen werden, wenn es um Ermittlungen pikanten Inhaltes, gesellschaftlicher Tragweite oder politischer Dimension geht, erklärt sich vor allem aus dem, was sie ausmacht – im Wesentlichen sind das sieben Punkte:

Befugnis

Sonderermittler treten mit besonderen Befugnissen an. Es gibt sie staatlich, parlamentarisch und privatwirtschaftlich. Sie werden – wie im Falle der hessischen Polizei – von oberer oder oberster Stelle eingesetzt. Sie erhalten eine sachliche und räumliche Zuständigkeit, die oft weit über das hinausgeht, was reguläre Ermittlungspersonen dürfen. Sonderermittler verfügen in der Regel zwar nicht über weitergehende Rechte gegenüber anderen Menschen, denn die ergeben sich beispielsweise aus der Strafprozessordnung (StPO), den Richtlinien für das Strafverfahren oder im wirtschaftliche Bereich aus den allgemeinen Rechten udn Gesetzen zum Interessenschutz. All das kann im Rechtsstaat nicht nach Gutdünken gegen Beschuldigte oder Zeugen ausgeweitet werden. Anders als etwa ihre Kollegen in den regulären Kripo-Dezernaten oder Wirtschaftsprüfungabteilungen sind die von hoher Stelle entsandten Sonderermittler aber viel weniger an starre Behörden- und Unternehmens- oder Institutionsstrukturen, Dienstwege und Hierarchien sowie Organigramme gebunden. Hinzu kommt, dass sie aufgrund der Dringlichkeit und dem oft öffentlichen Interesse an ihrem Auftrag mitunter schnelleren Zugriff auf Ressourcen wie Personal, Daten, Kriminaltechnik oder auch andere Ermittlungsmittel haben. Auch ihren Anfragen wird nicht selten eine besondere Priorität eingeräumt. Das entspricht auch der Erwartung, die die Öffentlichkeit an die Spezialermittler hat: Sie sollen kommen, schnell und ohne falsche Rücksichtnahme aufklären. Das alles gilt – wie erwähnt – nicht nur für Sonderermittler im staatlichen Auftrag. Auch Unternehmen und Institutionen statten beauftrage Sonderermittler meist mit weitreichenden Befugnissen etwa hinsichtlich des Zugangs zu Informationen aus, lassen sie weit oben im unternehmerischen Organigramm operieren und verpflichten Mitarbeiter zur Kooperation.

Kompetenz

Sonderermittler sind in der Regel Personen mit ausgewiesener Ermittlungsexpertise. Sie haben oft langjährige Erfahrung bei der Aufklärung von Straftaten und kennen sich beispielsweise mit Revisionsarbeit und Befragungstechniken, mit Datenanalyse und Kriminalistik und operativen Maßnahmen der Bekämpfung von Taten, aber auch mit Tricks ihrer Gegner aus. Sie erscheinen meist als Team, immer wieder kommt es dazu, dass jeweiligen Erfordernissen der akuten Ermittlungsarbeit Spezialisten hinzugezogen werden – Wirtschaftsprüfer, Juristen, Kriminalisten, Forensiker, IT-Experten und so weiter.

Ziel

Ihrem klar definierten Auftragsziel ordnen Sonderermittler alles unter – ist das Ziel erreicht, ist ihr Einsatz beendet. Entsprechend fokussiert arbeiten sie, Ablenkung durch Nebenschauplätze lassen sie nicht zu. Das bedeutet aber nicht automatisch, dass relevante Erkenntnisse, die nicht unmittelbar mit dem Fall zu tun haben, unter den Tisch fallen – im Gegenteil. Doch Informationen beispielsweise zu anderen Straftaten werden dann in der Regel an andere Ermittler weitergegeben, damit sich die Sonderermittler weiter völlig ungestört ihren klaren Ermittlungsfrage widmen können.

Weitsicht

Zur Arbeit des Sonderermittlers gehört es, besonders weit vorausschauen und in großen Zusammenhängen denken zu können. Denn meist ist zu Beginn einer Ermittlung noch überhaupt nicht klar, in welche Richtung und in welchem Umfang sich der Fall entwickeln wird. Sowohl beim Wirecard-Skandal als auch bei den „NSU 2.0“-Drohbriefen kamen zuletzt stückchenweise immer weitere Details ans Licht. Auch der Sonderermittler muss damit rechnen, dass die Dimension seiner Ermittlungen riesig und der Kreis der Beteiligten gigantisch werden kann. Immerhin ist die Unvorstellbarkeit des bereits Bekanntgewordenen häufig überhaupt erst der Grund dafür, einen Sonderermittler zu beauftragen – und auch er muss damit rechnen, zu Beginn seiner Arbeit lediglich die Spitze des Eisberges zu sehen. Zur Weitsicht gehört aber auch, sehr vielschichtig die Tragweite der eigenen Arbeit und der gewonnenen Erkenntnisse zuverlässig einschätzen zu können: Was bedeutet das alles politisch? Welche gesellschaftlichen Auswirkungen haben die neuen Wahrheiten? Was heißt all das in Bezug auf das Image einer Marke? Solches Gespür soll den Sonderermittler keinesfalls bei seiner Arbeit leiten, ihn aber befähigen, seinen Auftraggeber und womöglich auch die Gesellschaft bestmöglich auf die Wahrheit und sich daraus ergebende Effekte vorzubereiten. Denn die Einsätze der Sonderermittler finden zuweilen unter enormem Öffentlichkeitsdruck statt. Der Sonderermittler ist deshalb stets verschwiegen und äußert sich im laufenden Verfahren nur öffentlich, wenn das mit seinem Auftragsziel zu vereinbaren und mit dm Auftaggeber abgestimmt ist. Um das Ermittlungsergebnis nicht zu gefährden, ist auch beim Sonderermittler Diskretion enorm wichtig.

Unbefangenheit

Seine absolute Unabhängigkeit und Unbefangenheit sind weitere wichtige Kriterien für einen Sonderermittler. Er kommt mit professionellem Blick von außen, muss keine falschen Rücksichten walten lassen und sich keine Freunde machen. Das ist eine große Stärke. Während interne Ermittler in der eigenen Behörden-, Unternehmens- oder Organisationsstruktur sich dauerhaft irgendwie mit den Kollegen arrangieren müssen, muss der von außen kommende und nach Ermittlungsabschluss wieder gehende Sonderermittler keine langfristigen, persönlichen Anfeindungen fürchten. Da er als Fremder kommt, bestehen auch keine Abhängigkeiten und Loyalitäten, die er berücksichtigen muss, um keinen persönlichen Nachteil zu erleiden. Er muss nicht um Mobbing im Kollegenkreis und auch nicht um seine nächste Beförderung fürchten. Und er ist nicht erpressbar durch irgendeine peinliche Kleinigkeit, die irgendwer im Kreis der Mitarbeiter von ihm weiß.

Ungebundenheit

Weitestgehend an die Befugnis knüpft die (Weisungs-)Ungebundenheit an. Der Sonderermittler muss keine langen Dienstwege einhalten und sich nicht durch Hierarchien von Vorgesetzten kämpfen, sondern berichtet direkt an oberste Stelle. Auch ein verzweigter Ast an Zuständigkeiten und Abteilungen schreckt ihn nicht ab, denn er hat oft die Möglichkeit, völlig frei vom Organigramm dort zu ermitteln, wo es ihm nötig erscheint. In der Regel kann kein Abteilungsleiter ihm Auskünfte oder die Zusammenarbeit verweigern und er ist berechtigt, sich Informationen übergreifend zusammenzuziehen.

Berichterstattung

Die Ermittlungsergebnisse führt der Sonderermittler in vielen Fällen nicht als Staatsanwalt in einer Anklage zusammen, sondern erstellt einen detaillierten Bericht mit einem Ermittlungsergebnis. Beweise hat er professionell und gerichtsverwertbar gesichert und ebenfalls dokumentiert. Diesen Bericht übergibt er dem Auftraggeber, der seinerseits entscheidet, was er damit tut. Der Auftrag des Sonderermittlers ist damit beendet. Und das Ergebnis, was geschieht mit den Berichten? Manchmal sind solche Berichte Ausgangspunkt einer juristischen Aufarbeitung, manchmal dienen sie der Fehlerkultur und lösen Veränderungsprozesse aus, machmal werden sie öffentlichkeitswirksam zum Vertrauenswiederaufbau genutzt und nicht selten geht es auch einfach nur darum, durch Feststellung strafrechtlich längst verjährter Taten Gerechtigkeit im Sinne von Opfern entstehen zu lassen, indem ihr Leid offiziell anerkannt wird.